Leiopus femoratus Fairmaire, 1859 – neu für Mitteleuropa
RAOUL GEREND & MARC MEYER

Leiopus femoratus Fairmaire, 1859 - ein für Mitteleuropa neuer Bockkäfer 
in Luxemburg und im Saarland (Coleoptera, Cerambycidae)

Einleitung
Das westliche Deutschland gehört zu den käferfaunistisch am besten untersuchten Regionen der Welt. Hundert Jahre teils intensiver Feldforschung durch die im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft rheinischer Koleopterologen organisierten Faunisten lassen diese Aussage zu. Dennoch gibt es natürlich auch in diesem Raum Gegenden, die weniger intensiv bearbeitet wurden. Zu diesen gehört zweifellos das Saarland und hier besonders der nördliche, an Rheinland-Pfalz angrenzende Landesteil (KÖHLER 1998). Von allen Käferfamilien wiederum sind es vor allem die Bockkäfer, die als besonders gut untersucht gelten können. Der von NIEHUIS (2000) veröffentlichte Atlas deckt mit seinen Rasterkarten auch das Saarland ab, während BAUMANN (1997) die Verbreitungsdaten für das nördliche Rheinland zusammenstellte.  Leiopus femoratus Fairmaire, 1859 (Foto: GEREND)

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Auch für das käferfaunistisch weniger gut erforschte Luxemburg liegt eine rezente Synopsis aller verfügbaren Bockkäferdaten in Form einer nicht publizierten Arbeit des Wettbewerbs "Jeunes scientifiques", der luxemburgischen Entsprechung des deutschen "Jugend forscht"vor (AHRENDT unveröff.). Umso erstaunter waren die Autoren, als sich ein im Sommer 2004 im nördlichen Saarland eher zufällig gefangener Bockkäfer als Vertreter einer für Deutschland, letztlich sogar für Mitteleuropa neuen Art entpuppte. Dieser Fund führte im Sommer 2007 zu einer verstärkten Nachsuche in luxemburgischen Streuobstwiesen, die dann auch weitere Nachweise erbrachte. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Fundumstände zu beschreiben und das Auftreten der Art im Untersuchungsgebiet zu diskutieren.

Fundort Streuobstwiese "Hielbierg" südwestlich Bettemburg (Foto: GEREND)


Material und Methode
Am 24. Juli 2004 fing der zweite Autor bei einem Besuch im Örtchen Britten, im nördlichen Saarland, einen kleinen Bockkäfer, der auf einer eisernen Bank vor einem Bauernhof gelandet war. Britten liegt etwa 10 km nördlich von Merzig, unweit der Grenze zu Rheinland-Pfalz, am Rande des Hunsrücks. Naturräumlich gehört es zum Saar-Nahe-Berg-Hügelland. Der Ortsbereich, in dem das Tier nachgewiesen wurde, liegt in ca. 360 m Höhe ü.N.N. Die Umgebung des Dorfes ist ländlich und wird geprägt von Streuobstwiesen. Britten liegt am Süd- und Westrand einer bewaldeten Kuppe. Für den Fundort des Käfers gelten folgende Koordinaten: 49°31'21" nördlicher Breite und 6°40'45" östlicher Länge, sowie X = 2549314 und Y = 5487633 im deutschen Gauss-Krüger-System. Da es sich um einen typischen Zufallsfang handelt, wären alle weiteren Angaben zum Entwicklungsort des Tieres rein spekulativ.

In Luxemburg gelangen dann im Sommer 2007 weitere Funde im Gutland: Südlich Mersch, extensive Streuobstwiese im Ort genannt "Hintgen", Koordinaten 49°44'19,44" N, 6°05'56,33" E, im Gauss-Luxemburg-System rechts 75, hoch 89 in 231 m ü. NN; Hang in Nordwest-Exposition. 1 Tier am 17.06.2007 von totem Obstbaum geklopft. Beleg in coll. R. Gerend. Südwestlich Bettemburg, Streuobstwiese im Ort genannt "Hielbierg", Koordinaten 49°30'52,98"N, 6°05'18,62"E, Gauss-Luxemburg rechts 74, hoch 64 in 292 m ü. NN; in leichter Hanglage des oberen Alzette-Tales, nordexponiert. 3 Tiere am 30.06.2007 von Obstbäumen mit hohem Totholzanteil geklopft. Ein Beleg in coll. R. Gerend.
Diskussion
Aus Deutschland waren bislang zwei Arten der Gattung Leiopus bekannt: der häufige und weit verbreitete Leiopus nebulosus (L., 1758), sowie der weitaus seltenere Leiopus punctulatus (PAYKULL, 1800) (BENSE 1995, KÖHLER & KLAUSNITZER 1998). Beide Arten  waren bislang auch in Frankreich die einzigen Vertreter ihrer Gattung. Ende der neunziger Jahre wird dann überraschend eine weitere Art, Leiopus femoratus FAIRMAIRE, 1859 in Südfrankreich gefunden und zwar im Isère-Tal bei Saint-Ismier am Südrand der Chartreuse (BERGER 1999). Es folgen dann weitere Nachweise dieses kleinen Bockkäfers viel weiter nördlich in der Île de France (z.B. auf dem Plateau de Saclay im südlichen Großraum Paris; ), im Saône-Tal bei Tournus (), wo der Erstautor die Art 2006 zweimal fing, und schließlich im Elsass (CALLOT 2003).

BENSE (1995) kennt die Art nur aus dem südöstlichen Europa. Seine Verbreitungskarte zeigt einige Fundpunkte in Bulgarien. Der Käfer ist auch aus dem Kaukasus, der Türkei, Südrussland und dem nördlichen Iran bekannt (Hoskovec & Rejzek). Unklar ist bislang, ob Leiopus femoratus in Frankreich vorher übersehen wurde oder, ob die Art aus ihrem östlichen Areal hierhin verschleppt wurde, sich erfolgreich ansiedelte und seitdem nach Norden expandiert. Möglicherweise besitzt sie aber auch ein den nördlichen Rand der Mediterraneis umfassendes Areal. Dann allerdings müsste sie in weiteren Teilen des Balkans, sowie in Italien nachzuweisen sein.
Leiopus nebulosus

Leiopus punctulatus

Leiopus femoratus

BENSE (1995) zufolge ist die Art polyphag und u.a. von Castanea, Carpinus, Juglans, Ficus und Tilia dokumentiert. Am saarländischen Fundort in Britten stehen zahlreiche Walnussbäume. Im Auwald "Bois de Maillance" bei Tournus im Saône-Tal konnte ein Exemplar im Sommer 2006 von Dürrlingen geklopft werden, wobei hier zumindest Acer campestre, Ulmus laevis und Fraxinus (excelsior und oxyphyllos) in Frage kommen. Ein weiteres Tier flog Ende Juli eine Lichtfalle in diesem Auwald an (beide Male R. GEREND leg.). 
In diesem Zusammenhang sind die luxemburgischen Funde interessant, da sie eventuell nähere Rückschlüsse zur Habitatwahl des Käfers erlauben. Beide Funde gelangen in Streuobstwiesen, wie sie im Gutland für viele ländliche Regionen früher typisch waren und auch heute noch am Randbereich zahlreicher Siedlungen zu finden sind. Aufgrund eines oft hohen Totholzanteiles, der reichlichen Präsenz der Mistel (Viscum album agg.), des Auftretens spezifischer Holzpilzarten und einer guten Exposition des Totholzes in den locker strukturierten Beständen sind diese in Luxemburg "Bongert" genannten Obstbestände für eine Reihe seltener Käferarten von Bedeutung (GEREND in Vorber.). Nachweise von Leiopus femoratus gelangen an den beiden Fundorten durch gezieltes Abklopfen abgestorbener Äste von Apfel- und Pflaumenbäumen, den in luxemburgischen "Bongerten" meist dominanten Baumarten. Ein Tier konnte zudem von Juglans regia geklopft werden. Die Apfelbäume waren fast durchgängig mit Misteln besetzt und zudem oft durch Befall von Scolytus rugulosus und Scolytus mali zusätzlich geschwächt. Da die Art schon als polyphag bekannt ist, kann man annehmen, dass diese Baumarten auch zur Entwicklung genutzt werden. Eine direkte Bestätigung dieses Sachverhalts steht für Luxemburg aber noch aus.
Neben einer ganzen Reihe von Totholzkäfern aus den Familien Anthribidae, Anobiidae, Melandryidae, Scolytidae und Corylophidae konnten die Cerambyciden Pogonocherus hispidus (Mersch, in Anzahl) und Leiopus nebulosus (Mersch) nachgewiesen werden.

Die aktuelle Fundlage lässt hoffen, den Käfer demnächst auch im benachbarten Lothringen nachzuweisen, einer französischen Region, aus der bislang noch keine Funde vorzuliegen scheinen. Da die Art durch Abklopfen von Totholz, einer gängigen und oft angewandten Methode, recht leicht nachzuweisen ist und zudem auch noch Lichtquellen anfliegt, darf man davon ausgehen, dass sie früher nicht einfach übersehen wurde. Handelte es sich bislang meistens um Einzelfunde, so im Elsass und im Saarland, so lässt der Nachweis von drei Tieren innerhalb einer Viertelstunde bei Bettemburg doch bereits auf eine etablierte Population schließen.
Diagnose (vgl. FHL09:82):

1 Fühlerglieder ab dem 3. Glied an der Basis rötlichbraun, zur Spitze dunkler bis schwarz . . . 2
 - Das ganze Tier schwarz, auch Beine und Fühler. . .

punctulatus (Payk.)

 2 Halsschilddorne groß und spitz, weit hinter der Mitte der Halsschildseiten gelegen und schräg nach hinten gerichtet . . .
nebulosus (L.)

- Halsschildseitendorne klein und kurz, nur wenig hinter der Mitte der Halsschildseiten gelegen und kaum nach hinten gerichtet . . .

femoratus (Fairm.)
(Abbildungen aus BENSE 1995:350 mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Literatur
Baumann, H. (1997): Die Bockkäfer (Coleoptera, Cerambycidae) des nördlichen Rheinlandes, in: KÖHLER, F. (Hrsg.): Beiträge zur Käferfauna und Koleopterologie im Rheinland. Festschrift zum siebzigjährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft Rheinischer Koleopterologen (1927-1997). - Decheniana (Bonn) Beiheft 36, 13-140.
Bense, U. (1995): Bockkäfer. Illustrierter Schlüssel zu den Cerambyciden und Vesperiden Europas. 512 S. - Weikersheim (Markgraf).
Köhler, F. (1998): Zur Käferfauna (Col.) des unteren Saartales und des westlichen Mosel-Saar-Raumes II. - Ergebnisse der Exkursion der Arbeitsgemeinschaft Rheinischer Koleopterologen nach Taben-Rodt vom 29. Mai bis 1. Juni 1997. - Mitt. Arb.gem. Rhein. Koleopterologen (Bonn) 8, 125-152.
Abstract In July 2004 a cerambycid beetle new to the fauna of central Europe, Leiopus femoratus Fairmaire, 1859, was recorded from northern Saarland in Germany.     More records followed in 2007, this time from two localities in southern and central Luxembourg. The known distribution of this species in western Europe is briefly reviewed.
Zusammenfassung Im Juli 2004 konnte im nördlichen Saarland ein für Mitteleuropa neuer Bockkäfer, Leiopus femoratus Fairmaire, 1859, nachgewiesen werden. Weitere Funde, diesmal aus Luxemburg, folgten im Sommer 2007. Im Anschluss werden die westeuropäischen Verbreitungsangaben für diese Art zusammengestellt.
Résumé En juillet 2004, Leiopus femoratus Fairmaire, 1859, une espèce jusqu'à présent inconnue d'Europe centrale, a été trouvée en Allemagne, dans le nord de la Sarre. En 2007 l'espèce fut également découverte au Grand-Duché de Luxembourg. La distribution de l'espèce en Europe de l'ouest est passée en revue.