Zur Käferfauna des mittleren Ahrtales
Wolfgang Büchs

Ausgangspunkt der koleopterologischen Untersuchungen im Mittleren Ahrtal war Anfang der 80er Jahre die existenzielle Bedrohung des Langfigtales (heutiges Naturschutzgebiet „Ahrschleife bei Altenahr“) als Kerngebiet der Erhebungen durch Pläne der Verbandsgemeinde Altenahr, das Langfigtal für eine intensivere touristische Nutzung zu erschließen. Dazu sollte die Ahr in der östlichen Talhälfte in Höhe des nach Osten vorspringenden Mäandersporns unterhalb der Teufelslei über ca. 2,5 km bis etwa zum Parkplatz gegenüber der Winzergenossen- schaft Altenahr angestaut werden. Darüber hinaus war beabsichtigt, mit dem Stausee verschiedene Freizeitangebote zu verbinden, u.a. Liegewiesen, Schwimmbad, Bootsvermietung, Park- und Grillplätze; sogar an „Seefestspiele“ wurde gedacht. Die Diskussion über dieses Projekt intensivierte und emotionalisierte sich, als die Gemeinde Altenahr nach der auf vier Jahre befristeten „Einstweiligen Sicherstellung“ des Naturschutzgebietes (NSG) „Ahrschleife bei Altenahr“ am 1. April 1980 daran festhielt, die Stauseeplanung als Option in den Flächennutzungsplan mit aufzunehmen.
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Ahraue im Juni 1985 (Foto: BÜCHS)


Um neben den floristischen und faunistischen Beobachtungen anderer Gruppierungen (Näheres s. BÜCHS 1993, im Druck) auch koleopterologische Daten als Argumentationshilfe für die endgültige Unterschutzstellung zur Verfügung zu stellen oder zumindest, um die Käferlebensgemeinschaften des Talbereiches vor ihrer Vernichtung durch den Stausee zu dokumentieren, wurde 1982 der damalige Vorstand der Arbeitsgemeinschaft (AG) Rheinischer Koleopterologen, insbesondere Dr. K. Koch (Neuss) und Dr. W. Kolbe (Wuppertal) auf das Gebiet und die Problematik aufmerksam gemacht. In den nachfolgenden Jahren wurden bis etwa 1989 jährlich mehrtägige Erfassungsexkursionen der AG Rheinischer Koleopterologen in dieses Gebiet durchgeführt. Dabei wurden neben dem NSG „Ahrschleife bei Altenahr“ auch andere Flächen im Mittleren und Unteren Ahrtal in die Untersuchungen mit einbezogen. Die ersten Ergebnisse dieser Erhebungen gingen bereits 1983 in die Unterschutzstellungsdiskussion ein.
Juni 1983: Einweisung der Exkursionsteilnehmer der Arb.gem. Rheinischer Koleopterologen im Langfigtal durch Klaus Koch.
Nachdem bereits 1982 die Arbeitsgemeinschaft Rheinischer Koleopterologen für das Gebiet interessiert werden konnte, entstand 1986 eine etwa 50-köpfige Gruppe von Zoologen, Botanikern, Geologen, Geographen und Landespflegern, die exemplarisch die Intensivbearbeitung des überregional bedeutsamen Naturschutzgebietes „Ahrschleife bei Altenahr" mit Referenzcharakter für den gesamten Naturraum durchführte. 
Neben den mehr oder weniger naturbelassenen Flächen ist der Naturraum "Mittleres Ahrtal" geprägt durch eine heute noch streckenweise kleinterrassierte Weinbaulandschaft sowie einen recht hohen Anteil an Brachflächen, die für längere Zeit einer freien Sukzession überlassen werden, so dass an ihnen - bezogen auf die übergeordnete naturräumliche Einheit, das Rheinische Schiefergebirge - die natürliche Entwicklung und das biologische Potential längerfristig stillgelegter Flächen studiert werden kann.

Laach im Ahrtal: Blick von der Teufelsley auf die Guckley (Foto: BÜCHS, 1986)


Zielsetzung der Untersuchungen war die beispielhafte Ausarbeitung und Darstellung einer grundlegenden Konzeption für die landespflegerische Dokumentation und Analyse von Naturräumen sowie die Erstellung und Umsetzung von Biotopschutz- und
Biotoppflegeplänen, die insbesondere unter Einbeziehung der historischen Entwicklung der Landnutzung auch die bewirtschafteten Flächen berücksichtigen und auf die spezifischen Bedürfnisse der verschiedenen Tier- und Pflanzentaxa abgestimmt sind.
Neben der üblichen Ermittlung des Artenbestandes und seiner Bewertung auf Basis von „Seltenheit“ oder „Gefährdung“, woraus gezielte Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen abgeleitet und umgesetzt wurden, erfasste dieses Projekt durch die Einbeziehung des Aspektes der historischen Landschaftsentwicklung auf sehr breiter Basis auch die sozioökonomischen Hintergründe als Schlüsselelement für zukunftsorientierte und nachhaltige Entwicklungskonzepte dieses Naturraumes.
Neu für die Wissenschaft
In dem ca. 250 ha großen Gebiet wurden etwa 4300 Tierarten und 1200 Pflanzenarten ermittelt, unter denen sich 17 noch unbeschriebene Arten befanden (1 Blütenpflanzenart, 1 Käferart, 15 Fliegenarten). Von den neuen Arten sind bisher beschrieben: Ischnoglossa obscura WUNDERLE, 1990 (Coleoptera: Staphylinidae), Calamoncosis rhenana WENDT, 1994 (Diptera: Chloropidae); Megaselia buchsi DISNEY, 1999 (Diptera: Phoridae).
Vischeltal bei Altenahr-Kreuzberg 1984 (Foto: KÖHLER)


Zwischen 1980 und 1990 wurden im Mittleren Ahrtal schwerpunktmäßig an neun Standorten mit verschiedenen Erfassungsmethoden (Handfänge, Käscher, Klopftuch, Gesiebe, Lichtfang, Autokescher, Barberfallen, Borkenemergenzeklektoren,
Stammeklektoren, Pfahleklektoren, Trichterfallen) Untersuchungen zur Käferfauna durchgeführt. Dabei wurden insgesamt 1.963 Käferarten nachgewiesen (Langfigtal 1474 Arten, Vischeltal 1059, Reimerzhoven 703, Laach 53, Mayschoß 236, Dernau 96, Marienthal 559, Walporzheim 159). 
Die Erfassungen erfolgten durch Mitgleider der Arbeitsgemeinschaft Rheinischer Koleopterologen sowie durch SAMPELS (1986) und LETSCHERT (1987). Die 80er Jahre waren die bisher intensivste Periode koleopterologischer Erhebungen im Mittleren Ahrtal. Letztmalig sind Standorte an der Ahr 50 Jahre vorher (20er bzw. 30er Jahre) intensiver untersucht worden. Die Artenspektren der verschiedenen Standorte wurden hinsichtlich ihrer ökologischen Eigenschaften analysiert und verglichen. Dabei zeigten sich folgende Ergebnisse: 676 Käferarten gehören zu den faunistisch bemerkenswerten Spezies, 9 davon sind neu für die Rheinprovinz, eine Art (Ischnoglossa obscura WUNDERLE 1990) ist neu für die Wissenschaft.
Erstnachweise für die Rheinprovinz
Necrophilus subterraneus (DAHL, 1807)
Astenus subditus (MULS.REY, 1878)
Gabrius femoralis (HOCHH., 1851)
Hydrosmecta eximia (SHP., 1869)
Apimela mulsanti (GANGLB., 1895)
Oxypoda tarda SHP., 1871
Malthodes europaeus WITTM., 1970
Clambus nigriclavis STEPH., 1835
Rhyncolus elongatus (GYLL., 1827)
Wiederfunde für die Rheinprovinz
Neuraphes plicicollis RTT., 1879
Triplax lepida (FALD., 1835)
Oedemera tristis SCHM., 184
Abdera affinis (PAYK., 1799)
Pityophthorus pubescens (MRSH., 1802)
Die Käferfauna des Mittleren Ahrtals wird neben allgemein verbreiteten Arten, die mit Abstand den höchsten Anteil einnehmen, besonders durch die Käferarten mit Schwerpunktvorkommen im atlantischen und mediterranen Bereich geprägt. Käferarten mit Verbreitungsschwerpunkt in Kontinentalgebieten sind insgesamt ausgesprochen geringfügig vertreten. Im Mittleren Ahrtal steigt flussabwärts von West nach Ost bzw. vom feuchtkühlen Vischeltal zu den südexponierten, steilen, trockenwarmen Talflanken bei Reimerzhoven, Mayschoß und Walporzheim der Anteil von Arten südlicher Herkunft merklich an, in gleicher Weise gehen boreale Arten zurück. Auch eine Zunahme kontinentaler Arten ist zwischen dem Vischeltal im Westen und Walporzheim im Osten feststellbar. Gleichzeitig nimmt jedoch auch der Anteil der atlantischen Arten ab, der an allen Standorten erheblich höher ist als der der kontinentalen Arten.

Bei den montanen Arten entspricht die Präsenz in den einzelnen Untersuchungsgebieten nicht ganz der räumlichen Anordnung der untersuchten Standorte auf der Ost-West-Achse, die mit einem Anstieg des Höhenniveaus (von 96 bis 345 Meter ü.N.N.; nur Tallagen) und verzögertem Frühjahrseinzug (Apfelblüte) verbunden ist, je weiter man sich vom Rheintal in Richtung Westen entfernt. Im Vischeltal ist beispielsweise der Anteil montaner Käferarten sogar etwas geringer als im Langfigtal, obwohl man erwarten könnte, dass infolge der von Westen aus der Schneifel und dem Hohen Venn zum Vischeltal heranziehenden kalten Fallwinde (s.o.), montane Faunen- und Florenelemente in großer Zahl dorthin vordringen. Die vergleichsweise hohen Anteile montaner Käferarten im NSG ”Ahrschleife bei Altenahr” werden dort offensichtlich von den starken Expositionsunterschieden begünstigt. Besonders die Südflanke des Tales (Winterhardt, Horn) mit Höhen bis zu 480 Meter ü.N.N. ist durch ihre Nord-Exposition hochgradig montanen Klimaeinwirkungen ausgesetzt, so daß sich dort eine stark montan ausgeprägte Zoozönose halten kann, für die die sich südlich anschließenden und bis auf ca. 800 Meter ü.N.N. ansteigenden Höhen der Hocheifel eine Art Refugialraum bei ungünstigen Witterungsbedingungen (z.B. heiße, niederschlagsarme Sommer) darstellen. Gleichzeitig bildet dieses Gebiet ein Re-servoir an montanen Faunenelementen, die bei längerfristig günstigen Witterungsbedingungen in Richtung Ahrtal vordringen können.

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Veröffentlichungen:

Die Monographie
BÜCHS, W. (Hrsg.) (1993): Das Naturschutzgebiet ”Ahrschleife bei Altenahr” (einschließlich angrenzender schutzwürdiger Bereiche) - Fauna, Flora, Geologie und Landespflegeaspekte. Teil I. - Beiträge zur Landespflege in Rheinland-Pfalz (Oppenheim) 16, 1-567. [Band II mit dem Käferbeitrag ist im Druck]

Über das Ahrtal
BÜCHS, W., KÜHLE, J., NEUMANN, C. & W. WENDLING (1989): Untersuchungen zur Fauna und Flora im Großraum Altenahr - ein Beitrag zur Charakterisierung eines Naturraumes. - Jber. naturwiss. Ver. Wuppertal 42, 225-237.
BÜCHS, W. (1993): 1.1 Das Naturschutzgebiet ”Ahrschleife bei Altenahr” - Synoptische Einführung in das Untersuchungsgebiet sowie in die Hintergründe, Modalitäten, Methoden und Ergebnisse der zoologischen und botanischen Intensiverfassung. - Beitr. Landespflege Rheinland-Pfalz (Oppenheim) 16, 9-73, 545-548.
BÜCHS, W. (im Druck): Historische Aspekte der Landschaftsentwicklung im Naturraum "Mittleres Ahrtal" aus naturkundlicher Sicht, dargestellt am Beispiel des Naturschutzgebietes ”Ahrschleife bei Altenahr” - Beitr. Landespflege Rheinland-Pfalz (Oppenheim) 17.
BÜCHS, W., KÖHLER, F. & K. KOCH (im Druck): Zur Käferfauna (Insecta: Coleoptera) des Naturraumes ”Mittleres Ahrtal” und ihr Beitrag zur ökologischen Charakterisierung relevanter Biotoptypen - Beitr. Landespflege Rheinland-Pfalz (Oppenheim) 17.
FUSS, H. (1862): Kleine Mitteilungen aus der Fauna des Ahrtales. - Berlinter Ent. Z. (Berlin) 6, 427-430.
GRÄF, H. (1988): Die Pfingstexkursion 1988 ins Mittlere Ahrtal bei Altenahr. - Rundschreiben Arbeitsgemeinschaft Rheinischer Koleopterologen (Bonn), 1988, 46-48.
KOCH, K. (1983): Zur Untersuchung der Käferfauna des NSG "Ahrschleife bei Altenahr". - Jber. Dt. Bund Vogelschutz, Gruppe Ahrtal 1983, 14-20. 
KOCH, K. (1988): Bericht über den Stand der Arbeiten am Ahrtal-Projekt. - Rundschreiben Arbeitsgemeinschaft Rheinischer Koleopterologen (Bonn), 1988, 44-45.
LETSCHERT, D. (1987): Zur Arthropodenzönose kleinstrukturierter Weinberge bei Marienthal/Ahr unter besonderer Berücksichtigung der Coleoptera, speziell der Carabidae. - Dissertation Math. Nat. Fak. Universität Bonn, 199 S., Bonn.
LIENEMANN, K. (1985): Faunistisch-ökologische Untersuchung der Käferfauna im Fluß-System der Ahr (Insecta: Coleoptera). Dissertation. - Bonn.
NEUMANN, C. (1989): Kurze Mitteilung über einen Neufund und zwei Wiederfunde für die Käferfauna der Rheinprovinz. - Rundschr. Arb.gem. Rhein. Koleopterologen 1989, 16-17.
SAMPELS, J. (1986): Die Käfer der Weinbergsvegetationsschicht und ihre Eignung als Indikatoren der Standortbelastung. Dissertation Bonn.

Neue Arten aus dem Ahrtal
DISNEY, R. H. L. (1999): A troublesome sibling species complex of scuttle flies (Diptera: Phoridae) revisited. – Journal of Natural History 33, 1159-1216.
WENDT, H. (1994): Eine neue Art der Gattung Calamoncosis ENDERLEIN, 1911, aus Rheinland-Pfalz (Diptera, Chloropidae). – Dtsch. Ent. Z. N.F. 41, 351-355.
WUNDERLE, P. (1990): Revision der mitteleuropäischen Arten der Gattung Ischnoglossa KRAATZ 1856 (Coleoptera, Staphylinidae, Aleocharinae). - Entomologische Blätter (Krefeld) 86, 51-68.