Franz Lengersdorf - Nachruf
Franz Lengersdorf 
* 7. 12. 1880 in Kommern + 3.2. 1965 in Bonn 

Von Bernhard Mannheims, Bonn

Am 3. Februar 1965 starb Rektor i. R. Franz LENGERSDORF, Ehrenmitglied des Naturhistorischen Vereins der Rheinlande und Westfalens, im 85. Lebensjahr. Seit 20 Jahren sind LENGERSDORF und ich in menschlicher und fachlicher Verbundenheit ein Stück unseres Lebensweges gemeinsam gegangen. So erklärt es sich auch, daß ich manche Begebenheit aus seinem früheren Leben von ihm persönlich erfahren habe. 

Am 7. Dezember 1880 wurde Franz JOSEI LENGERSDORF in Kommern, Kreis Euskirchen, als Sohn von Josef LENGERSDORF und THERESE geb. ABELS geboren. Vom Vater hatte er Gestalt, Geduld und Zähigkeit, von der feinsinnigen Mutter Herzensgüte und Flug der Gedanken. Hinzu kam die glückliche und edle Veranlagung, bis in sein hohes Alter hinein zielstrebig und unermüdlich an sich selber zu arbeiten. 

Die landschaftlich schöne Gegend seines Heimatdorfes lenkte schon früh den Sinn des Jungen auf die heimische Natur. Am liebsten streifte er in den Bergen und Wäldern umher. So kam er eines Tages, den neuesten Gassenhauer singend, durch die Kommerner Mühlengasse, eine Schlingnatter (Coronella austriaca) im Taschentuch am Stock schulternd. Da stieß er auf den Lehrer. Der brachte ihn zur Mutter, weil er meinte, es sei eine Kreuzotter. Der Junge aber konnte den Lehrer belehren, daß die harmlosen Nattern runde Pupillen und zahlreiche Zähne, die giftigen Ottern aber senkrechtes Sehloch und nur e i n e n Giftzahn hätten - vom unterschiedlichen dunklen Zickzack-Bande auf dem Rücken gar nicht zu sprechen. Alles, was draußen sich regte, wurde lebend nach Hause gebracht - vor allem Frösche, Kröten und Molche. Leider war der heimische Bleibach ohne Fische. Dagegen waren im nahen Eickser Rotbadi Forellen, Stichlinge und Kaulbarsche. Besonders interessierten ihn hier die Bach-Neunaugen (Petrox«yzon planéri BLOCH). In der Dorfschul-Bibliothek las er alles, was von Tieren und Pflanzen handelte; er verschlang die BACHschen "Lesefrüchte". 

Jeder Spaziergang mit dem Vater bereicherte sein Naturwissen. Er war Obergärtner auf dem 20 Morgen großen Gutsgarten des Josef Abels'schen Besitzes Burg Kommern. Einmal besuchten Vater und Sohn den Schloßgärtner Schaaf auf dem benachbarten Solemacherschen Schloß Wachendorf. Dieser schenkte dem Knaben seine Schmettcrlingssammlung und regte den Jungen an, selber Insekten zu sammeln. "Die Dorfschule tat wenig für naturwissenschaftliche Bildung" klagte LENGERSDORF. Mein Lehrer war kein Naturfreund: Die 50 spröden Turnstäbe gingen auf unseren Rücken in Stücke." 

Den 8 Jahren Volksschule folgten 3 Jahre Präparandie in Euskirchen und 3 Jahre Seminarzeit in Brühl. Hier entdeckte der junge LENGERSDORF JUNGES "Dorfteich" und wunderte sich, daß im Seminarunterricht nichts von den Wundern in einem Tümpel gebracht wurde. Auch hier habe es kein Schöpfen am sprudelnden Quell, sondern nur Pauken aus Büchern gegeben.

Als er dann als Junglehrer seine erste Stelle in Flerzheim bei Rheinbach antrat, hatte er in den Ferien der vier Dorfschullehrer-Jahre Zeit, BLANKENHORNS klassische Arbeit über die Trias am Nordrande der Eifel zu studieren. Die Gesteinschichten des Buntsandsteins, Muschelkalks und Keupers wurden nach Versteinerungen durchsucht. "Ich hieß in meinem Heimatorte nur `de Steenklöppe' (Steinklopfer) - man sah mich nur mit schwerbeladenem Rucksacke nach Hause ziehen". Das Ergebnis war eine Sammlung wertvoller Fossilien. Er fand unter anderen das noch unbekannte Leitfossil der Nodosenschichten: Ceratites nodosus, den zehnfüßigen Krebs Pemphix sucurii, Wirbel des Nothosaurus und Pflasterzähne von Placodus gigas. Ein gut erhaltener Voltzienzweig mit den deutlichen Ansätzen sämtlicher Nadeln habe Prof. Dr. POHLIG so lange zu ihm getrieben, bis LENGERSDORF ihn ihm gab. Ein eigenartiger, noch unbekannter Fruchtzapfen kam in den Besitz des Bonner Geologen Prof. Dr. STEINMANN (1856-1929). Seine Steinsammlung mußte der Jüngling auf Wunsch seines Vaters an das Krantzsche Mineralienkontor in Bonn verkaufen. 

Als LENGERSDORF 1906 nach Bonn berufen wurde, erhielt er in der Sammlung des Naturhistorischen Vereins - damals von Prof. Dr. VOIGT (1856--1928) geleitet - durch seinen Freund Prof. Dr. ZEPP Kustoden-Arbeit. Seine Interessen wandten sich wieder mehr der lebenden Tierwelt zu. Er besuchte 1907 als Gasthörer, 1919 als Student der philosophischen Fakultät zoologische Vorlesungen an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und erfreute sich der besonderen Förderung Prof. Dr. RICHARD HESSE's. LENGERSDORF durchlief die Kurse für Anfänger und Fortgeschrittene und wurde schließlich zu den Doktoranden gezählt. Zwei Doktor-Arbeiten wurden ihm gestellt, von denen er sich eine vergleichende Studie über Männchen und Weibchen des Leuchtkäfers ("Glühwürmchens") wählte. 

Leider hatte er zur Durchführung einer Doktorarbeit weder Zeit noch Mittel. Er hätte sich vom Schuldienst beurlauben lassen müssen. Doch die Zeit war für ihn zu ausgefüllt. Neben seiner Schularbeit als Lehrer an der Hindenburg- und Nordschule gab er Privatunterricht in Naturwissenschaft an der Mittelschule Heyermann, Vertretungsunterricht am Lyzeum, machte sein Mittelschul- und Rektorenexamen, führte die Werbeausschußarbeiten des aufblühenden Eifelvereins, spielte als bezahlter 2. Organist Sonntags die Orgel an St. Elisabeth und arbeitete noch im Museum des Naturhistorischen Vereins. 

Als LENGER5DORF 1909 sein Mittelschulexamen bestand, wurde ihm eine Mittelschullehrerstelle in Aachen angeboten, die er ausschlug, um in Bonn bleiben zu können. 

Dreieinhalb Jahre war er als Landsturm-Unteroffizier während des 1. Weltkrieges in Frankreich (Champagne). Zwei dicke Tagebücher geben Einblick in diese Zeit. Wer nicht selbst im Schützengraben lag, weiß nicht, was ein braver Landsturmmann ertragen mußte." 

Nach dem Kriege lernte er am Zoologischen Institut der Universität Bonn Jesuitenpater Prof. HERMANN SCHMITZ kennen, der über Buckelfliegen (Phoriden) promovierte. Pater SCHMITZ hatte eine Arbeit über die Tierwelt holländischer Höhlen geschrieben und schlug LENGERSDORF die Untersuchung der Ofenkaulhöhlen im Siebengebirge vor. Danach wurde LENGERSDORF Höhlenforscher und nahm in einer Reihe von Arbeiten die lebende Tierwelt der meisten deutschen Höhlen, besonders die der Rheinlande, Westfalens und des Harzes, auf. Zahlreiche neue Tierarten wurden von ihm entdeckt, viele nach ihm benannt; z. B. Belba lengersdorfi, eine Milbe aus einer Harzer Höhle, Trichodrilus lengersdorfi, ein Grundwasserwurm aus einer Höhle des Siebengebirges und die Lycoriiden-Gattung Lengersdorfia.

Die Entdeckung einer neuen Höhlenmücke im Siebengebirge, Neosciara ofenkaulis - die falsche Bildung des Artnamens (sie hätte ofenkaulensis heißen müssen) war dem Nicht-Lateiner peinlich - führte ihn dazu, sich näher mit den Trauermücken zu befassen. Er ist ihnen sein Leben lang treu geblieben und hat sie im weltbekannten deutschsprachigen dipterologischen Standardwerk: "LINDNER, Die Fliegen der palaearktischen Region" zusammengestellt. Als Fachkenner hat er Hunderte von Bestimmungswünschen anderer erfüllt. Er, der in jungen Jahren aus Zeit- und Geldmangel nicht promoviert hatte, empfand es als Krönung seiner wissenschaftlichen Arbeit, als ihm 1943 von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität die Universitätsplakette für Verdienste um die Wissenschaft verliehen wurde. Die Urkunde lautet: 

"In einer Anzahl wertvoller Arbeiten, die in führenden Fachzeitschriften erschienen sind, hat er sich große Verdienste erworben um die Aufhellung entomologischer Einzelprobleme. Mit sichtbarem Erfolg ging er bei der entomologischen Untersuchung deutscher Höhlen eigene Wege, die zur Entdeckung neuer Arten führte. 
In dankbarer Würdigung dieser Verdienste ist es für die Universität eine Freude und Genugtuung, seinen unermüdlichen Forschergeist dankbar zu ehren."
Außer seinen naturwissenschaftlichen Schriften veröffentlichte LENGERSDORF zahlreiche pädagogische Arbeiten in den Zeitschriften: Monatsschrift für Katholische Lehrerinnen, Schulfreund, Mädchenerziehung, Neue Bahnen, Zeitschrift für christliche Erziehungswissenschaft, Westdeutsche Lehrerzeitung Die Volksschule, Pädagogische Post, Die Neue Volksschule u. a. Er unterrichtete in Bonn 38 Jahre lang als Lehrer an der Hindenburgschule, Nordschule und der Schule Dottendorf und schließlich als Rektor an der Marienschule. Sein Hauptbestreben war, seine Schüler und die ihm unterstellten Lehrpersonen und Vereinsmitglieder für die Natur zu begeistern. Daher die vielen Wanderungen in die naturschöne Umgebung Bonns. Demselben Zwecke dienten die botanischen Ausflüge des Lehrervereins für Naturkunde, die besonders lehrreich waren, wenn ihm der gute Pflanzenkenner Dr. F. WIRTGEN zur Seite stand. Auch im Eifelverein, dem er - nach seiner Pensionierung - 10 Jahre (1945-1955) als Vorsitzender diente, verfolgte er das Ziel, die Mitglieder für die Schönheiten der Natur zu gewinnen. Seine sichtbarsten Erfolge für den Eifelverein waren die Rückerwerbung des Steinerberghauses und des Wibbelsberges mit seinen herrlichen Wacholderbeständen. Der Eifelverein ehrte ihn mit der Ernennung zum Ehrenvorsitzenden auf Lebenszeit. 

An seinem 80. Geburtstag erwatteten ihn noch die Ernennungen zum Ehrenmitglied der Arbeitsgemeinschaft rheinischer Coleopterologen, des Vereins der deutschen Höhlen- und Karstforscher sowie des Naturhistorischen Vereins der Rheinlande und Westfalens. 

Ein arbeitsreiches, aber auch geliebtes und erfülltes Leben liegt hinter ihm. "Am köstlichsten war es, wo die Arbeit am größten war" versicherte er oft sinngemäß.

In der Erinnerung bleibt LENGERSDORF als Vorbild eines Mannes, der bis in sein hohes Alter an sich selbst arbeitete, für die Jugend lebte, Gesetzlichem in der Natur nachstrebte und frohgemut, bescheiden und zielbewußt seinen Weg ging. 

Aus: Mannheims, B. (1967): Franz Lengersdorf. - Decheniana (Bonn) 118, 111-117. Publikationsverzeichnis (87 Titel) s. dort.

* Seine Sammlung und dipterologische Bibliothek kamen 1962 ans Zoologische Forschungsinstitut und Museum Alexander Koenig, Bonn. LENGERSDORF bat ein Verzeichnis seiner naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen persönlich geführt und laufend ergänzt - mit vorangestellter Opus-Zahl und dem Titel folgenden Erscheinungsjahr, das chronologisch nicht immer mit der Reihenfolge seiner Opus-Nummern übereinstimmt, weil nicht alle Arbeiten in der Reihenfolge der abgelieferten Manuskripte erschienen.