Festschrift 70 Jahre AG Rh. Koleopterologen


Amateurwissenschaft: Entwicklung, Beschreibung und wissenschaftssoziologische Analyse am Beispiel der Koleopterologie

Frank Köhler 

Mit 12 Tabellen und 12 Abbildungen 
 

Kurzfassung

Im Mittelpunkt der Wissenschaftsforschung stehen Untersuchungen zur Entstehung und Steuerung von Wissenschaft. Amateurwissenschaft taucht in diesem Zusammenhang stets als ein Stadium der Institutionalisierung einer wissenschaftlichen Disziplin auf, wobei bisher unbeachtet blieb, daß bis zum heutigen Tage amateurwissenschaftliche Traditionen existieren. Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über Entstehung und Wandel von Amateurwissenschaft auf dem Gebiet der Entomologie. Heutige Amateurwissenschaft wird am Beispiel der Koleopterologie einer soziologischen Analyse unterzogen.

Das Sammeln und Besitzen von Naturobjekten, das unter bestimmten sozialen Vorraus- setzungen in wissenschaftliche Tätigkeiten umsetzbar war und ist, ermöglicht trotz einer Institutionalisierung der Natur- geschichte an der Universität den Fortbestand amateur- wissenschaftlicher Traditionen. Im Laufe der Zeit haben sich Stellung und Rolle der Amateure stark gewandelt. 
Die große Tierartenzahl führte zur zunehmenden Spezialisierung unter deskriptiven Zoologen, die Erschöpfung taxonomischer Probleme führte in Mitteleuropa zur Erschließung und Entwicklung neuer amateurspezifischer Betätigungsfelder, der Paradigmenwechsel in Folge der Darwin´schen Arbeiten wurde nachvollzogen, allerdings sank das Prestige von Taxonomie und später Faunistik aufgrund fortschreitender innerdisziplinärer Differenzierung der institutionalisierten Forschung. Die Begründung von Museen, Vereinigungen und Zeitschriften führte zu gemeinsamen Identifikationspunkten für professionelle Entomologen und Amateure. 

Bei ausreichend hoher Kommunikationsdichte entstanden in verschiedenen geographischen Zentren Deutschlands in diesem Jahrhundert spezialisierte koleopterologische Arbeitsgemeinschaften, in denen sich Amateur- und Berufswissenschaftler zu faunistischer und taxonomisch-systematischer Forschung zusammengeschlossen haben. Die Sozialstruktur und Organisationsform werden ausführlich beschrieben, ein den Amateuren spezifisches Paradigma kann aufgrund der Heterogenität der Arbeitsrichtungen und Zielsetzungen sowie unterschiedlicher Qualität der Leistungen nicht identifiziert werden. Zwischen professioneller Entomologie und Amateuren bestehen rege Austauschbeziehungen in Form von Service-Leistungen. Der Fortbestand amateurwissenschaftlicher Traditionen ist weitgehend gesichert, eine gemeinsame Identifikation, Arbeitsorte und Nachwuchs existieren, allerdings gefährden nicht wissenschaftlich begründete Rechtsnormen die allgemeine soziale Akzeptanz einer Beschäftigung mit Naturobjekten. 

Am Anfang einer typischen Karriere steht die Selbstbelohnung mit Naturobjekten, die später der sozialen Anerkennung für besondere Sammelleistungen und letztlich der Belohnung für Wissensfortschritte weicht. Das Belohnungssystem wird eingehend untersucht. Anhand der Analyse von Publikationen werden Entwicklungen in der Taxonomie analysiert sowie Eigenheiten und qualitative Charakteristika der Arbeit von Amateuren skizziert. Die bewußte Institutionalisierung der Dedikation von Arten als Belohnungsform hat Amateurwissenschaftlern zu einer eigenständigen Möglichkeit der Anerkennung wissenschaftlicher Leistungen verholfen, die zugleich als Instrument der soziologischen Analyse genutzt werden kann. 
 

Abstract

Amateur science: history, description and sociological analysis exemplified in the field of coleopterology.

Science research primarily studies the history and control of science. Amateur science has always been considered a phase during the institutionalization of a scientific field. The fact that amateur research exists even today has largely been neglected. The present study outlines the history and change of amateur research in the field of entomology and presents a sociological analysis of amateur science exemplified in the field of coleopterology. 

Collecting and owning natural objects, which under certain social conditions may initiate scientific activities, has maintained the traditions of amateur research, despite the institutionalization of natural history at the universities. The position and role of the amateurs, however, have been subject to considerable change. The large number of animal species led to an increasing specialization among descriptive zoologists. Due to a depletion of taxonomic problems in Central Europe new amateur specific research activities were looked for and developed. The shift of paradigm following Darwin´s publications was realized and accepted, but taxonomy and later faunistics partly lost their reputation due to increasing intradisciplinary differentiation of institutionalized research. The foundation of museums, entomological societies and journals intensified the contact between professional and amateur entomologists. 

In this century, coleopterological societies were founded in several geographical centres of Germany, in which both amateur and professional entomologists joined in faunistic, taxonomic and systematic research. The social structure and organisation are described in detail. As a result of the diversity of research activities and aims as well as the differences in research quality an amateur specific paradigm could not be identified. There is an active service exchange relationship between professional and amateur entomologists. Joint aims and identification, the presence of technical prerequisites and junior entomologists seem to guarantee the continuance of the traditions of amateur research, but the general social acceptance of the study of natural objects is threatened by legal norms, which are not based on scientific arguments. 

A typical career is initiated by self-reward with natural objects, which is later substituted by social acknowledgement of success in collecting and finally by rewards for advances in knowledge and competence. This reward system is studied in detail. Based on an analysis of publications, developments in taxonomic research are investigated and qualitive characteristics of amateur studies are outlined. The dedication of species as reward has developed into a means of acknowledgement of scientific achievement for the amateur entomologist, and it can at the same time be used as an tool for sociological analysis. 

Zitat

Köhler, F. (1997): Amateurwissenschaft: Entwicklung, Beschreibung und wissen- schaftssoziologische Analyse am Beispiel der Koleopterologie, in: Köhler, F. (Hrsg.): Beiträge zur Käferfauna und Koleopterologie im Rheinland Festschrift zum siebzigjährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft Rheinischer Koleopterologen (1927-1997). - Decheniana (Bonn) Beiheft 36, 351-420.