Der Fauna Käferführer I - Käfer im und am Wald
FRANK KÖHLER
Wer benötigt eigentlich Bilderbücher? Am Anfang der Beschäftigung mit Käfern steht der Vergleich der gefundenen Tiere mit bebilderter Literatur.  Hier standen dem Anfänger schon immer eine große Zahl populärer Titel zur Verfügung, während man die Anschaffung umfangreicher und  teurer Fachliteratur vermeiden konnte. Das Hauptproblem der Beschäftigung mit Insekten und speziell den Käfern ist aber ihre unübersichtliche Artenfülle, der bislang kaum ein populärer Titel gerecht werden konnte. Diese Lücke wurde erst 1981 mit dem Kosmos-Käferführer von HARDE & SEVERA geschlossen, der es immerhin schaffte zu fast jeder heimischen Gattung mindestens eine Art in brauchbaren farbigen Zeichnungen abzubilden und textlich zu kommentieren. 

Seit etwas mehr als 10 Jahren kann man nun auch im Internet umherschweifen und Käferbilder suchen. Die Zahl der Fotos geht mittlerweile ins Unermessliche und mit der Galerie unter www.koleopterologie.de findet sich auch ein  Community-Projekt, in dem mittlerweile 250 Fotografen/innen über 8000 Käferfotos aus Mitteleuropa zusammengetragen haben. Die Stärke solcher Projekte ist gleichzeitig auch ihre Schwäche. Die Zahl der Arten und Bilder ist so groß, dass es kaum möglich ist alles zu betexten oder auf anderen Seiten im Internet systematisch aufbereitete Informationen zur Lebensweise einzelner Arten zu finden. Ursache ist nicht nur die Fülle, sondern - das soll nicht verschwiegen werden - auch das Copyrightrecht, dass es verbietet, vorhandene Literaturtexte einfach ins Intenet zu übernehmen und nicht zuletzt die "Zurückhaltung" vieler Experten gegenüber dem Internet und seinen uneigennützigen Kommunikationsstrukturen.
Und wer braucht dann noch zu Zeiten des Internets ein weiteres Fotobuch? Nun gerade, derjenige der die vermissten weiteren Informationen zu Käfern sucht. Hier bietet sich nun eine neue Buchveröffentlichung von Möller, Grube & Wachmann an: "Der Fauna Käferführer I - Käfer im und am Wald". Dieser richtet sich unter anderem an die große Zahl interessierter Anfänger, sei es angehende Koleopterologen oder die weiterhin exponentiell wachsende Zahl digital ausgerüsteter Naturfotografen.  Auf 334 Seiten werden fast 500 Fotos zu Käfern, aber auch ihren Lebensräumen gebracht. Der Titel "Käfer im und am Wald" umreißt die grobe Zielrichtung des Bandes. Der spezielle Teil des Buches präsentiert auf rund 250 Seiten 430 Artenprofile mitteleuropäischer Käfer. In der Auswahl werden typische häufige, aber auch eine Reihe seltener und versteckt lebender Käferarten in familiensystematischer Reihenfolge präsentiert.

Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass der allgemeine Teil, der auch die obligatorischen Punkte Körperbau, Entwicklung und Lebensweise kurz abhandelt, sehr intensiv auf Totholzlebensräume (und deren Schutz) eingeht, die aufgrund der menschlichen Waldbewirtschaftung vielfach sehr selten geworden sind und zahlreiche gefährdete Käferarten  beherbergen. Hier unterscheidet sich der Band ganz erheblich von der vorhandenen Literatur, die oftmals Schwerpunkte auf "Schädlinge" und "Lästlinge" setzt, also auf solche Arten, die dem Menschen besonders oft begegnen. Leider kommen bei dieser Schwerpunktsetzung andere Waldlebensräume, wie Waldgewässer, Vegetation und Waldboden einschließlich seiner Mikrohabitate etwas zu kurz.

Auf jeder Doppelseite finden sich in klassischer Manier rechts Kommentare und links Fotos der besprochenen Arten. Die Fotos - meist vier hochkant auf einer Seite - sind fast durchgängig von guter technischer Dokumentationsqualität: Scharf, kontrastreich, farbgetreu. Die Arten sind zur besseren Erkennung fast immer dorsal oder leicht seitlich abgebildet. Die Bestimmungen, soweit am Foto nachvollziehbar, sind alle korrekt - was bei Bildbänden nicht immer vorausgesetzt werden kann. Bei der ersten Durchsicht des Bandes fiel mit Rhagonycha limbata (Abb. 76) nur eine Fehldetermination (ist Rhagonycha testacea) auf. Für die Fundamentalisten unter den Naturfotografen sei angemerkt, dass fast alle Fotos geblitzt sind und hin und wieder einmal der Hintergrund unschön schwarz ist. Auf der Mehrzahl der Aufnahmen fehlt aber eine fotografische Freistellung und typisches Substrat oder Lebensraumelemente füllen den gesamten Hintergrund, so dass das Buch durchgängig einen "bunten lebendigen Eindruck" macht.
Beispiel: Doppelseite aus dem Fauna Käferführer I


Die Bildauswahl beschränkt sich, darauf weisen die Autoren auch explizit hin, auf das vorhandene Archivmaterial von Eckehard Wachmann. Nur in Einzelfällen standen Bilder anderer Fotografen zur Verfügung, was im wesentlichen zwei Effekte hat: Zur Füllung der Seiten mußten Arten herangezogen werden, deren eigentlicher Lebensraum nicht der Wald ist (siehe Buchtitel) und es fehlen in vielen Fällen im Wald dominante Arten. Während bei den Laufkäfern noch relative Vollständigkeit herrscht, fehlen bei den Kurzflüglern bis auf Ocypus olens alle superhäufigen Arten der Waldbodenstreu, was sich in vielen Familien fortsetzt oder sogar zu deren gänzlichem Fehlen führt (z.B. alle "Wasserfamilien", Colonidae, Leiodidae, Leptinidae, Scydmaenidae, Ptiliidae, Melyridae, Cerophytidae, Sphaerosomatidae, Arpidiphoridae, Latridiidae, Scraptiidae). Bei anderen Familien vermißt man Arten, die einem auf Schritt und Tritt begegnen und die zu den häufigst fotografierten Tieren zählen, z.B.: Athous haemorrhoidalis, vittatus und subfuscus (Elateridae) oder im Wald typische Mistkäfer der Gattung Aphodius (Scarabaeidae).

Behält man diese Einschränkung einschließlich der Binsenweisheit, dass vieles nicht nach Foto bestimmbar ist, im Hinterkopf, so haben wir insgesamt eine vergleichsweise gute Übersicht über große auffällige Arten. Dem Leser wird überdies im Textteil unter die Arme gegriffen, indem nicht nur Lebensraum, Häufigkeit und Verbreitung skizziert werden, sondern auch die Größe und morphologische Merkmale genannt werden. Hilfreich, aber auch irreführend kann der Punkt "ähnliche Arten" sein, da er entscheidend vom Kenntnisstand des Lesers abhängig ist. Die Autoren bemerken dies auch im Vorwort und verschweigen nicht, dass für eine korrekte Determination vielfach der Fang und Konservierung von Belegen unerlässlich ist. Wer wissen möchte, wie man das bewerkstelligt, findet im Kosmos-Käferführer (hoffentlich auch noch in den neueren Auflagen?) sechs informative Seiten zum Fang und Aufbewahrung von Käfern.

Zurück zu den "Ähnlichen Arten": In der Regel kann man sich da an Habitus und Farbe der Käfer orientieren und erhält auch brauchbare Auskünfte. Sobald man sich aber abseits bunter und bizarr geformter Arten bewegt, ist der Neueinsteiger wohl verloren. Leider kann man sich aber auch nicht bei bunten Formen sicher fühlen, wie die folgenden Beispiele andeuten. Bei Coccinella septempunctata heißt es: "Ähnliche Arten: Von ähnlichen Coccinella-Arten durch Größe und Anzahl der Punkte unterschieden". Hätte man da nicht besser explizit auf Coccinella magnifica und ihre Lebensweise verwiesen? Bei Anastrangalia dubia heißt es "keine", obwohl im gleichen Lebensraum (Bergnadelwälder) auch die auf den ersten Blick identische Anastrangalia reyi - das früher verwendete Synonym "inexspectata" ist treffender - vorkommen kann. Bei Leptura maculata heißt es schlicht "Siehe Leptura quadrifasciata", dort dann "Ähnelt anderen, schwarz-gelb gemusterter Bockkäferarten!". Gemeint sind wohl die fehlenden  arcuata, attenuata und aurulenta. Da ist die bei vielen Rüsselkäfern gewählte Formulierung "Ähnliche Arten: andere Arten der Gattung" die deutlich bessere ...

Ein weiteres gutes Hilfsmittel ist die Kurzcharakteristik der (abgebildeten) Käferfamilien, die sich an den Bildteil anschließt und leider - offenbar aus Platzgründen - nicht in die Besprechung der Arten eingefügt werden konnte. Hier finden sich zu jeder Käferfamilie Hinweise zur Lebensweise, körperlichen Merkmalen und zur Artenzahl, weltweit, in Mitteleuropa und in Deutschland. Ein kurzes Glossar, eine Literaturauswahl und ein Stichwortverzeichnis, in dem die behandelten Arten farblich hervorgehoben werden, runden das Buch ab. Berücksichtigt man insgesamt, was ein Bilderbuch leisten oder nicht leisten kann, haben wir hier einen hervorragend illustrierten Band vor uns, der uneingeschränkt als Hilfsmittel für Exkursionen und die Orientierung unter den zahllosen Wald- und Totholzkäfern dienen kann. Die römische Eins im Buchtitel läßt auf weitere Bände zu anderen Biotopkomplexen wie Feuchtbiotopen (Gewässer, Ufer, Auen, Moore, Sümpfe, Küsten) sowie Offenland- und Kulturbiotopen (Wiesen, Weiden, Felder, Trockenrasen, Weinberge ...) hoffen.
Möller, Grube & Wachmann: Der Fauna Käferführer I - Käfer im und am Wald. 336 Seiten, 455 Farbfotos, 2 s/w Abbildungen, Hardcover, Fadenheftung, 18,5 x 13,0 cm, 450 g. ISBN 3-935980-25-6, Eur 42,00, Fauna Verlag e.K., Nottuln, http://www.faunaverlag.de.