Heinz-Dieter Appel - Lebenserinnerungen
Wenn man, wie ich jetzt, für eine sehr lange Mitgliedschaft geehrt wird, ist dies das beste Zeichen dafür, daß  man alt wird - also eigentlich ein schlechtes Zeichen. Man sollte aber auch daran denken, da  ich schon als 13-jähriger der Arbeitsgemeinschaft beitrat, daher ist mein 50-jähriges zahlenmäßig doch wohl noch zu verkraften. Für sich persönlich findet man halt zu jeder Zeit noch eine tröstliche Ausrede!

Nun, wie sah es vor 50 Jahren hier bei uns aus? Viele Arbeitslose und viele Unruhen zwischen Linken und Rechten, demnach ähnlich wie heute. Meine Mutter war Lehrerin, und wir wohnten in Köln-Zollstock Tür an Tür mit meinen Großeltern. Ich war Quartaner und liebte Tiere. In unserer Wohnung befanden sich: Ein Hund, eine Katze, zwei Schildkröten in einer Zinkbadewanne, einige Fische in einem 100-Liter-Aquarium und in einer Voliere 13 Wellensittiche. Meine Liebe zur Natur war damals wohl schon recht ausgeprägt. Auch das Sammeln hatte ich schon begonnen, denn ich nannte eine Koniferenzapfen-Sammlung mein eigen.

1931 brachte mir meine Mutter einige aus der Schulbibliothek ausrangierte Bücher mit - sicher mußte damals der Rechnungshof darüber noch nicht informiert werden - darunter eines mit dem Titel "Der Käferfreund". Zur Bestimmung war dieses Büchlein zwar völlig ungeeignet, aber darin fanden sich Hinweise, wie man eine Sammlung aufbaut.

Dadurch, daß  ich unseren Hund immer ausführen mußte, war ich natürlich oft in der umliegenden Natur, vor allem in den Schrebergärten und im Vorgebirgs-Park. Dort fing ich nun an, Käfer zu sammeln, und damit begannen meine ersten Probleme. Wie sollte ich die Tiere töten, wie präparieren und wie aufbewahren? Aber Not macht erfinderisch: Getötet wurde zunächst mal in einem Glas mit Schwefelfaden. Dabei verbrannten mir zuerst sehr viele Käfer, bis ich den Faden in einem Blechkästchen an einem Korken befestigte, so daß die Tiere nicht mehr damit in Berührung kamen. Ich besitze auch heute noch eine solche unten mit Papierschnipseln gefüllte Schwefelflasche zum Abtöten von Käfern mit empfindlicher Tomentierung. Präpariert wurde, indem ich mit einer hakenförmig umgebogenen Nadel Fühler und Beine nach außen streckte. Damit das Tier von oben heil blieb, schob ich es auf eine Stecknadel, die von unten in einer Kleiderschachtel aus Pappe saß. Einen Käfer von oben zu durchbohren, erschien mir zu barbarisch. 

Ein Jahr später zogen wir dann in ein eigenes Haus in Köln-Brück. Dort war schon für damalige Verhältnisse im Kreise Köln ein einmaliges Fanggebiet, der Königsforst. Unser Architekt, Oberbaurat Klein, war Lepidopterologe, der eng mit Herrn Rupp aus Dellbrück, der auch heute noch bei Schmetterlingssammlern gut bekannt ist, zusammenarbeitete. Bei der Abnahme des fertigen Hauses, sah der Architekt zufällig einen meiner Kleiderkartons mit Käfern, für den er sich sofort interessierte. So wurde ich in Zukunft des öfteren bei ihm eingeladen, da er mich nämlich für seine Schmetterlinge begeistern wollte. Seine Sammlungsschränke füllten eine ganze Etage, und auf der Veranda und im Garten standen zahlreiche Zuchtkästen. Als er aber schließlich merkte, daß mein Interesse ausschließlich den Käfern galt, vermittelte er mir ein Treffen mit den Leuten der "Arbeitsgemeinschaft Rheinischer Coleopterologen". Das habe ich ihm bis heute nicht vergessen! 

So zog ich also im Frühjahr 1932 zu diesem Treffen in das Restaurant "Treppchen" am Dom (im Kriege zerstört). Da ich das Kölner Kneipenleben mit 12 Jahren noch gar nicht - meine Mutter aber anscheinend auch nicht viel mehr - kannte, mußte ich ganz auf mich selbst gestellt mein Glück versuchen. Dem Portier, den es damals noch überall gab, sagte ich, daß ich zu dem Treffen der Koleopterologen wollte. Er sah mich etwas erstaunt über seine Brille an und bugsierte mich dann in einen Saal, in dem etwa 200 Menschen herumtobten: Frauen mit Frauen und Männer mit Männern. Das kam mir damals schon nicht geheuer vor! Nachdem ich eine Weile in diesen Anblick versunken stehengeblieben war, wollte mich jemand losschicken, um Getränke zu holen. Aber dadurch, daß ich ihm keine besorgen konnte, stellte sich schließlich heraus, daß ich beim verkehrten Verein gelandet war. Das "Treppchen" war nämlich in erster Linie Treffpunkt der Kölner Homosexuellen. 

Als ich nun dem Portier nochmals klar gemacht hatte, zu wem ich eigentlich wolle, meinte er plötzlich: "Ach so, zu den verrückten Käferjecke willst du? Ja, da mußt du in den ersten Stoch, zweite Tür rechts." Als ich diese Tür öffnete, verschlug es mir den Atem. Die Luft war dunkelblau, denn bis auf wenige Ausnahmen wurden hier nur dicke Zigarren gequalmt. Herr Hoch, damals noch einer der jüngeren Herren, begrüßte mich freundlich und stellte mich anschließend den - teilweise für mich sehr betagten - Senioren vor. Der Raum war von normaler Zimmergröße, in der Mitte mit einem sehr großen ovalen Tisch, um den alle locker herumsaßen. Den ganzen Abend sprach möglichst gleichzeitig jeder mit jedem über Käfer. Wollte einer etwas Besonderes beisteuern, so klopfte er auf den Tisch, dann wurde es wenigstens für ein paar Augenblicke etwas ruhiger. Zwischendurch gingen laufend Bestellungen für Essen und Trinken heraus, vor allem, wie ich mich heute noch gut erinnere, floß sehr viel Rotwein. Es war furchtbar gemütlich, für mich wahnsinnig interessant und im Grunde lief alles darauf hinaus: "Was haste und was haste noch nicht?" Als ich nach Hause kam, war meine Mutter entsetzt, denn ich stank so, daß sie meine Kleidung einige Tage lüften mußte, und auch meine vom Rauch entzündeten Augen blieben mir noch länger erhalten.

In der folgenden Zeit wurde ich bei der Arbeitsgemeinschaft zunächst nur als Gast geführt und brauchte als Schüler auch noch keinen Mitgliedsbeitrag zu zahlen. Ab 1935 wurde ich sodann als Mitglied eingetragen, und von nun an erhielt ich auch die Tagungsberichte. Später wurden die Tagungen dann in das "Salzrümpchen" verlegt, ein Lokal am Walraff-Richarz-Museum, das heute ebenfalls nicht mehr besteht. Das schönste an diesen Tagungen war - auch aus meiner heutigen Sicht noch - der gesellige Rahmen. Selbst die eigentlichen Tagungen verliefen recht locker. Es gab kein Rednerpult und kein festes Programm. Wenn einem etwas einfiel, so erzählte er es, und das waren immer Dinge aus ihrem eigenen reichen Erfahrungsschatz. Da es noch keine "Pro-Mille-Grenze" gab, wurde es eigentlich immer ein feucht-fröhlicher Nachmittag, der sich gewöhnlich bis in den späten Abend ausdehnte.

Die erste Zeit nach dem Kriege haben wir ja versucht, das so beizubehalten, aber nun klappt das leider schon lange nicht mehr. Das kann doch nicht nur an der "Pro-Mille- Grenze" liegen!

Meine Sammlung vergrößerte sich damals vor dem Krieg auf etwa 1500 Arten, die aber nur in 6 Kästen untergebracht waren, weil ich pro Art nur ein Exemplar verwahrte. Das ärgert mich heute sehr, denn viele Arten die damals häufiger vorkamen, habe ich später nie mehr wiedergefunden. Sie führen nun in meiner Sammlung ein einsames Dasein. Mitgenommen hatte ich zudem nur Tiere von 3 bis 4 Millimeter an aufwärts, dies einfach deshalb, weil ich noch kein Binokular besaß. Mein Fanggebiet reichte so weit, wie man mit dem Fahrrad an einem Tag hin und zurück kommen konnte: Königsforst bis Bensberg, Wahner Heide und das Rheinufer auf- und abwärts. Als Fanggeräte benutzte ich fast ausschließlich den Kescher und den Stechbeitel; vom Sieben hielt ich nichts, denn die Tiere im Gesiebe waren für mich zu klein.

Zur damaligen Zeit hatte ich recht guten Kontakt zu Horion, den Käferpastor von Libur. Bei ihm sah ich zum ersten Mal eine vorschriftsmäßige Käfersammlung, und ich erhielt von ihm viele wertvolle Tips. So zeigte er mir auch das Aufkleben der kleineren Tiere auf Plättchen, denn ich hatte bis dahin alles genadelt. Damals besaß ich auch schon alle Reitter-Bände, und so war meine Sammlung eigentlich auf dem besten Wege, etwas Ordentliches zu werden.

Aber dann kam Arbeitsdienst, Militärzeit, Krieg und Gefangenschaft (in Marseille bei den Amerikanern). Zum Käfer sammeln gab es nirgendwo Gelegenheit. Als ich 1946 endlich wieder nach Hause kam, war unser Haus zerbombt, fast alles war zerstört, nur meine 6 Käferkästen hatten - wie durch ein Wunder - alles heil überstanden. Meine Mutter war inzwischen Schulleiterin in Imhausen an der Sieg. Arbeit gab es für einen Heimkehrer dort nicht, so blieb nur das "Kungeln". Aber die Umgebung lockte förmlich dazu, das alte Hobby wieder aufzunehmen, und so jagte ich den Käfern des oberen Siegkreises nach. Käfer gab es mehr als genug, aber auch riesige Schwierigkeiten. Weil meine Kästen voll waren. baute ich zunächst aus alten Brettern mit Hilfe eines Fuchsschwanzes 20 neue Kästen. Die Torfunterlagen und einige hundert Insektennadeln bekam ich vom Museum Koenig. Aufklebeplättchen schnitt ich aus Fotopapier. Als Klebemittel benutzte ich alles, was zu bekommen war, selbst Wasserglas. Vier Jahre verbrachte ich in dieser Gegend, und meine selbstgebastelten Kästen (die noch heute im Gebrauch sind) füllten sich zusehends. Hier habe ich zusätzlich auch mit dem Wasserkescher und Gesiebesack gearbeitet. Die größten Ausbeuten lieferten die regelmäßigen Überschwemmungen der Siegauen. In morschen Bäumen holte ich dort auch erstmals Carabus intricatus aus der Puppenwiege.

Die Verbindung zur Arbeitsgemeinschaft stellte Horion wieder her, er hatte als Einziger noch alle Adressen. Die erste Zusammenkunft, an der ich teilnehmen konnte, fand in Bonn statt, und dabei stellte ich fest, daß viele unserer Mitglieder zwar ausgebombt und deshalb verzogen waren, aber der alte Kreis doch größtenteils überlebt hatte.
Von der Käferjagd alleine konnte ich nicht leben, und so ging ich 1952 nach Köln zurück, wo ich auch bald etwas fand, das mir beruflich zusagte. 1954 konnte ich mir schon ein Auto leisten, und nun vergrößerte sich mein Fanggebiet wesentlich: Hinzu kamen der Stommeler Busch, das Worringer Bruch, das Bergische Land (besonders das Looper Bachtal bei Engelskirchen) und später noch die Umgebung von Koblenz und hier vor allem die Weinberghänge vor Boppard.

Es waren tolle Jagdgründe, aber was ist daraus geworden! Um einmal die Veränderungen dieser Gebiete in den letzten Jahrzehnten zu veranschaulichen, nenne ich als Beispiel das Worringer Bruch. Vor 20 Jahren ein sumpfiger, dicht mit Weiden, Erlen und Pappeln bestandener und von zahllosen Sumpfpflanzen überwucherter toter Rheinarm auf tonigem Boden, ein richtiger Urwald. Dazwischen viele alte Ziegeleigruben, in denen das Wasser bis zu einem Meter hoch stand und in denen es von tollen Wasserkäfern wimmelte. Heute ist der Bach, der die Gewässer speiste, kanalisiert, und alles trocknet immer mehr aus. Zwar stehen die meisten Bäume noch, aber viele der Sumpfpflanzen verschwinden immer mehr und mit Wasser und Pflanzen auch all die seltenen hydrophilen Käfer. Daß das Bruch überhaupt noch besteht, verdanken wir wohl den Streitigkeiten der Kommunalpolitiker: Pferderennbahn oder Wohngebiet oder Naherholungsgebiet, was soll man daraus machen? Das weiß offensichtlich noch keiner, und inzwischen wehrt das Bruch die Menschen ab, indem es die Brennesseln meterhoch wachsen läßt.

Was habe ich nun in den 50 Jahren geschafft? Eigentlich habe ich immer nur faunistisch gearbeitet, um Ökologie und anderes habe ich mich nie sonderlich gekümmert. Ich habe aber versucht behutsam zu sammeln, d.h. fand ich mal eine sehr seltene Art in größerer Zahl, nahm ich nur fünf bis sechs Exemplare in mein Gläschen, denn vielleicht war in der Nähe eine günstige Nische, in der sich die Tiere entwickelten, dann würden sie auch in Zukunft noch hier zu finden sein. Und schließlich wollte ich meine Serien auch noch von anderen Stellen ergänzen. Ausrotten wollte ich eine Art durch das Mitnehmen aller greifbarer Individuen auf keinen Fall. In den letzten Jahren habe ich zudem fast nur noch alleine gejagt, denn ich glaube, daß man als Einzelner Biotope besser schützen kann, als wenn man in großen Scharen durch die Natur streift.

Mein Jagdgebiet war immer die ehemalige Rheinprovinz, hier konnte ich bis jetzt 3.200 Arten nachweisen, darunter auch einige Neufunde. Ich hoffe, daß ich in Zukunft sicher noch manches gute Stück erbeuten kann, zumal ich gerade Rentner geworden bin und mich der Jagd nun erst richtig hingeben kann. Zudem habe ich meinen Wohnsitz ins Grüne verlegt, und dort zwischen Vorgebirge und Eifel ist bisher noch wenig gesammelt worden, es ist also noch allerlei zu erwarten.

Aus dem Manuskript eines Beitrages, den Heinz-Dieter Appel bei der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft auf einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft vortrug (Quelle Archiv).

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